No. 18.1 Glück

Glück ist ein leiser Schatten, der sich im Innersten niederlässt, uns berührt und doch ungreifbar bleibt. Es ist kein Geschenk, das man austauschen kann, kein Besitz, den man weiterreicht. Es kommt und geht lautlos, unabhängig von allem Äusseren.

Wer wirklich glücklich ist, trägt es in sich, nicht als Ergebnis, sondern als Zustand, frei von Erklärung oder Teilbarkeit. Zwei Menschen mögen nebeneinander glücklich sein, doch jeder hat es für sich gefunden, allein, in jenem Raum, den keine Worte betreten können.

Ich lieb ein pulsierendes Leben

Ich lieb ein pulsierendes Leben,
das prickelt und schwellet und quillt,
ein ewiges Senken und Heben,
ein Sehnen, das niemals sich stillt.

Ein stetiges Wogen und Wagen
auf schwanker, gefährlicher Bahn,
von den Wellen des Glückes getragen
im leichten, gebrechlichen Kahn ....

Und senkt einst die Göttin die Waage,
zerreisst sie, was mild sie gewebt, –
ich schliesse die Augen und sage:
Ich habe geliebt und gelebt!


Das Gefühl, wenn ein Lied erklingt, es ist, als ob die Musik uns erlöst.

Ich bin überzeugt, dass im Innersten eines jeden die Vernunft und das rationale Denken vorherrschen, während die Hoffnung eher oberflächlich erscheint, wie eine zarte Staubschicht, die sich um unseren Kern legt. In jedem Menschen wohnt jenes undefinierbare Etwas, das in dem Moment, in dem die Hoffnung in einem klirrenden Zerbrechen zusammenfällt, leise verkündet: „Ich hab’s ja gewusst.“

Du wusstest es immer, doch du wolltest es nicht anerkennen, du wolltest hoffen. Du sehntest dich nach Farbe, nach intensiven Gefühlen, denn für dich ist das tiefste Schwarz lebendiger als jede graue Farblosigkeit. Die prickelnden Ameisen auf der Haut, das donnernde Herzklopfen in den Ohren, schweissnasse Finger, all das bezeugt dein echtes Erleben. Du könntest dir deine Besessenheit oder vermeintliche Faszination eingeredet haben und dabei selbst misstrauisch werden, aber du verschliesst deine Ohren vor der kalten Stimme der Vernunft und beharrst darauf, dass es im Leben etwas geben muss, das ihm dieses gewisse Etwas verleiht.

Die Besonderheit.

Und dann, fast augenblicklich, entzündest du wieder den Hoffnungsschimmer, wartest, bis die Dunkelheit den Raum erfüllt, und schwebst mit deinen Träumen davon, als würdest du spiralförmig in die Schwärze eintauchen.

Gerade in der Nacht ist die Sehnsucht am intensivsten.

Trag mich nach Hause, wo immer das ist, bring mich in die Wärme einer Umarmung und halt mich nicht fest, aber fest im Arm. Ich brauche nicht mehr nur eine Schulter zum Anlehnen, ich brauche zwei davon und einen Rücken, auf den ich mich stützen kann, wenn mir die Knie weich werden und meine Stimme versagt angesichts der Größe der Geschichten, die das Leben so schreibt. Lass mich atmen und weinen.

Das Buch zur Wortmalerei

Rainer Maria Rilke

Glück

Ob flüchtig wie ein Windhauch im Sommer, aufregend wie das erste Knospen von Blumen im Frühling oder beruhigend wie ein warmer Sommerregen – das Glück ist bei Rainer Maria Rilke stets das höchste und zarteste Gut, nach dem der Mensch sich sehnt.

Und dazu passt ja auch “Irgendeinisch fingt ds Glück eim” von Züri West

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