No. 8 Aus der Trübe

Aus der Trübe

Aus der Trübe müder Überdruss
reisst, die wir einander bebend bringen,
uns die Botschaft. Welche? Wir verbringen -
Ach wann waren Worte diese Küsse?

Diese Küsse waren einmal Worte;
stark gesprochen an der Tür ins Freie
zwangen sie die Pforte.
Oder waren diese Küsse Schreie ..

Schreie auf so schönen Hügeln, wie sie
deine Brüste sind. Der Himmel schrie sie
in den Jugendjahren seiner Stürme.

 

Die Sprache der Küsse

„Ich trage ein Geheimnis in mir, das ich mit dir teilen möchte“, flüsterte ich. „Ich habe eine Botschaft für dich.“ Ihr Blick ruhte auf mir, ihre tiefen, grünen Augen suchten nach Antworten. „Welche Botschaft, mein Lieber?“ „Die Worte sind erschöpft“, gestand ich. „Sie können nicht mehr ausdrücken, was wir fühlen. Aber unsere Küsse – sie sind lebendig. Sie hallen wie Schreie über die Hügel und verbinden uns.“ Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie verstand, was ich meinte. Unsere Küsse waren unsere eigene Sprache, unsere Leidenschaft. Sie drückten mehr aus als Worte es je könnten. Gemeinsam standen wir unter dem alten Eichenbaum, unsere Lippen trafen sich, und die Welt verschwamm um uns herum. Wenn der Wind über die Hügel im Emmental strich, flüsterten wir uns unsere Liebe zu. Und wenn die Stürme tobten, schrien unsere Küsse lauter als je zuvor.

Rainer Maria Rilke, begann 1914 eine Liebesaffäre mit Lou Albert-Lasard, die bis 1916 dauerte. Während dieser Zeit entstanden zahlreiche Liebesgedichte, die Rilke an Lou richtete. Er schrieb etwa einhundert Gedichte, die er fortlaufend nummerierte und ihr mit dem Titel “Dir zur Feier” widmete. Obwohl die beiden vereinbarten, dass diese Gedichte zu ihren Lebzeiten nicht veröffentlicht werden sollten, sind 48 dieser Gedichte in ihrem Nachlass erhalten geblieben.

Das Gedicht "Aus der Trübe" ist ein eindrucksvolles Beispiel für Rilkes Fähigkeit, tiefgehende Emotionen und komplexe Bilder zu vermitteln. Es befasst sich mit den Themen Liebe, Verlangen und Kommunikation, und wie diese durch Zeit und Erfahrung transformiert werden. Rilkes Verwendung von Metaphern und Symbolen lässt die Worte lebendig werden und schafft eine Verbindung zwischen den Lesern und den beschriebenen Gefühlen.

Das Bild fand seine Inspiration in einem Brief und einem Gedicht, die Rilke an Lou schrieb. Der Text wiederum entstand aus einer lebhaften Diskussion über das Küssen, das niemals vernachlässigt werden sollte.

 

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